Management-Theater: Wenn Steuerung durch „Besprechen“ ersetzt wird
Du willst weniger Meetings? Dann hör auf, Meetings zu optimieren.
Das klingt erstmal wie ein LinkedIn-Spruch. Ist aber eine ziemlich nüchterne Systemdiagnose: Meetings entstehen nicht, weil Menschen „zu viel reden“. Sie entstehen, weil das System zu wenig steuert. Arbeit ist nicht sauber sichtbar, Abhängigkeiten sind diffus, Entscheidungen hängen an Personen statt an Regeln – und plötzlich wird Kommunikation zur Krücke. Das Ergebnis ist Management-Theater: viel Aktivität, wenig Wirkung.
Die harte Wahrheit: Wenn Fluss fehlt, füllt der Kalender die Lücke.
Eine Szene, die du kennst (auch wenn du sie nicht zugeben willst)
Dienstag, 16:30 Uhr. 14 Leute. 60 Minuten.
Die ersten 20 Minuten sind Updates („nur kurz“). Dann kommt ein Thema, das eigentlich eine Entscheidung bräuchte. Stattdessen: Rückfragen. Kontext. „Das müssen wir noch mal mit X spiegeln.“ Noch zwei Einwände. Jemand schlägt vor, eine Taskforce zu bilden (sie wird „leichtgewichtig“ genannt, damit sich niemand schuldig fühlt). Am Ende steht ein neues Meeting.
Alle gehen raus mit dem Gefühl: Wir waren dran.
Nur: „dran sein“ ist kein Fortschritt.
Das ist Management-Theater. Nicht weil Menschen blöd sind, sondern weil das System es so arrangiert.
Was ist Management-Theater eigentlich?
Management-Theater ist eine Organisationsform, in der Steuerung nicht wirklich stattfindet, sondern überzeugend gespielt wird. Entscheidungen werden ausführlich besprochen, aber am Ende nicht entschieden; Prioritäten werden kommuniziert, ohne als konkrete Regeln, Grenzen oder Reihenfolgen in der Arbeit anzukommen; Verantwortung wird so verteilt, dass sie sich für alle gut anfühlt, aber niemand sie tatsächlich hält; und Unsicherheit wird nicht bearbeitet, sondern sozial beruhigt – durch mehr Runden, mehr Alignment, mehr Abstimmung. Das Entscheidende daran: Dieses Theater ist selten böse Absicht, sondern eine Kompensation. Wenn Fluss, Struktur und Haltung nicht zusammenpassen, produziert das System Meeting-Aktivität, um Stabilität zu erzeugen – ähnlich wie ein Körper bei Stress Muskelspannung aufbaut: Es fühlt sich nach Kontrolle an, kostet aber Beweglichkeit.
Genau deshalb wird das Muster so oft übersehen. Es klingt banal, also greift man zu den naheliegenden Maßnahmen: Meetingformate optimieren, Agenden hübscher machen, Moderationstechniken trainieren. Das ist technisch korrekt, löst aber das falsche Problem – wie bei einer brennenden Küche die Rauchmelder neu zu verkabeln. Die Meetings sind nicht die Ursache, sie sind das Symptom.
Hier setzt haltungsbasierte Organisationsentwicklung an. Sie arbeitet nicht an der Oberfläche des Verhaltens („macht kürzere Meetings“), sondern an der Logik, die dieses Verhalten notwendig macht. Diese Logik besteht fast immer aus drei Schichten: Haltung, Struktur und Fluss. Wenn diese drei nicht kohärent sind, entsteht Busywork als Ersatz für Steuerung – und Meetings werden zur sichtbarsten, sozial akzeptierten Form dieser Ersatzhandlung. Ziel ist deshalb nicht weniger Kommunikation, sondern bessere Steuerung: Kohärenz von Haltung, Struktur und Fluss, damit Führung wieder echt wird statt gut inszeniert.
Woran du Management-Theater erkennst (ohne Drama, nur Indikatoren)
Management-Theater ist kein moralisches Urteil („die da oben können’s nicht“). Es ist ein Muster: Das System erzeugt Aktivität, die sich wie Steuerung anfühlt – aber Steuerung nicht ersetzt.
Hier sind drei Indikatoren, die ich für ziemlich treffsicher halte:
1) „Wir müssen uns mal abstimmen“ wird zum Standardsatz
Das klingt nach Kooperation, ist aber oft ein Warnsignal: Abstimmung ist die Ersatzhandlung, wenn es keine klare Entscheidungslogik gibt. Man stimmt sich nicht ab, weil es sinnvoll ist – sondern weil niemand sicher ist, wer entscheiden darf, was entschieden werden muss und woran man merkt, dass eine Entscheidung wirkt.
Wenn „Abstimmung“ zum Default wird, ist die Organisation im Modus: Sicherheitsgewinn durch gemeinsame Anwesenheit. Das reduziert Angst – aber nicht unbedingt Arbeit.
2) Entscheidungen wandern wie ein Wanderpokal
Entscheidungen werden sorgfältig vorbereitet, dann verschoben, vertagt, wieder geöffnet und „nochmal in den Kreis gegeben“. Das wirkt auf den ersten Blick wie Unfähigkeit – ist aber häufig etwas anderes: ein System, das Entscheidungen schlicht nicht trägt. Du merkst das daran, dass die zentrale Frage nicht mehr lautet: „Was ist die beste Entscheidung?“, sondern: „Wer hat das abgesegnet?“, „Wer wird dafür verantwortlich gemacht, wenn’s schiefgeht?“ oder „Ist das schon mit X abgestimmt?“. In dem Moment, in dem Verantwortung vor allem als Risiko erlebt wird, wird eine Entscheidung zur heißen Kartoffel. Und die lässt man im Meeting gern noch einmal herumgehen – nicht weil es klüger wäre, sondern weil es sicherer wirkt.
3) Status-Meetings ersetzen Klarheit
Status-Meetings sind nicht per se schlecht. Problematisch werden sie erst dann, wenn sie zum Ersatz für ein echtes Steuerungssystem mutieren. Dann entsteht ein sehr typisches Muster: Es wird viel berichtet, aber wenig entschieden; es gibt viele Updates, aber kaum Priorisierung; Blocker werden fleißig benannt, aber selten aufgelöst; ToDos werden gesammelt, während Outcomes ausbleiben. Das Meeting produziert in dieser Form vor allem ein Gefühl – nämlich, dass man „dran“ ist und etwas tut. Nur leider ist „dran sein“ kein Fortschritt.
Warum Meetings wachsen: Die Systemmechanik dahinter
Wenn du verstehen willst, warum Meetings explodieren, musst du nicht in die Köpfe der Menschen. Du musst in die Mechanik des Systems. Drei Ketten erklären 80 % der Meetinginflation:
Unsicherheit → Absicherungsbedürfnis → Meeting
Unsicherheit ist normal. Organisationen tun aber oft so, als wäre sie ein Defekt. Dann entsteht der Reflex: Wir müssen das gemeinsam besprechen, damit es sicher ist.
Das Meeting wird zur Beruhigungspille: „Wenn alle dabei waren, kann es nicht falsch sein.“ Das stimmt nur leider nicht. Es ist nur anders verteilt.
Unklare Entscheidungsrechte → Eskalation → Meeting
Wenn nicht klar ist, wo Entscheidungen hingehören, entstehen zwei Vermeidungsstrategien:
Eskalation nach oben („soll der Chef entscheiden“)
Konsens nach außen („lass uns alle reinholen“)
Beides klingt „verantwortungsvoll“, ist aber häufig nur: Entscheidung wird aus dem Risiko-Raum gezogen.
Und Meetings sind der Ort, an dem Eskalation und Konsens am einfachsten zu inszenieren sind.
Unsichtbare Abhängigkeiten → Koordinationsstress → Meeting
Sobald Arbeit in einem Geflecht von Abhängigkeiten steckt (und das tut sie fast immer), brauchst du Koordination. Die Frage ist nur: Koordination wie?
Wenn Abhängigkeiten nicht sichtbar sind, entsteht Koordination als Dauer-Improvisation. Improvisation braucht viel Kommunikation. Und Kommunikation ohne Struktur wird Meeting.
Das ist keine „Kommunikationsschwäche“. Das ist fehlende Architektur.
Die drei echten Ursachen: Haltung – Struktur – Fluss
Jetzt wird’s interessant, weil hier die haltungsbasierte Brille ihren Nutzen zeigt. Meetings sind selten der Kern. Sie sind eine Oberfläche. Darunter liegen meist drei Ursachen, die sich gegenseitig verstärken:
1) Fluss: Arbeit ist nicht in einem gemeinsamen System sichtbar
Wenn Arbeit nicht in einem gemeinsamen System sichtbar ist, wird Steuerung zur Illusion. Denn was du nicht sehen kannst, kannst du auch nicht verlässlich führen – und dann wird „reden“ zur Ersatzsichtbarkeit. Genau so entstehen Organisationen, in denen jeder seinen eigenen Überblick pflegt: ein bisschen Excel, ein bisschen Kopf, ein Jira-Projekt hier, ein Teams-Chat dort. Blocker tauchen erst im Meeting auf – wenn überhaupt. Das WIP wächst still und stetig, nur nennt es niemand so, weil es sich überall verteilt. Und Abhängigkeiten sind kein klarer Fakt, sondern eher ein Gerücht: Man ahnt sie, stolpert über sie, aber niemand hat sie wirklich im Blick. Solche Flussprobleme sind deshalb nicht bloß „Prozessprobleme“. Sie sind Steuerungsprobleme. Ohne sichtbaren Fluss gibt es keine belastbare Grundlage für Priorisierung, keine saubere Entscheidungslage – und damit auch keinen Führungsentscheid, der mehr ist als Bauchgefühl plus Abstimmung.
2) Struktur: Rollen- und Entscheidungslogik ist unklar
Wenn Rollen und Entscheidungslogik unklar sind, ist Management-Theater fast vorprogrammiert – besonders dann, wenn in der Organisation gern gesagt wird: „Bei uns sind alle verantwortlich.“ Denn sobald Verantwortung nicht sauber strukturell verankert ist, muss sie über soziale Dynamik hergestellt werden: Wer am meisten redet, wer am längsten dabei ist, wer am lautesten wirkt oder den höchsten Status hat, gewinnt Deutungshoheit – und damit faktisch Entscheidungsgewicht. Das zeigt sich sehr konkret daran, dass Entscheidungen an Personen hängen statt an Regeln, dass „Darf ich das entscheiden?“ zur Dauerfrage wird, dass Zuständigkeiten über Beziehungen und informelle Netzwerke geregelt werden und Meetings zunehmend dazu dienen, Autorität zu simulieren, statt Entscheidungen zu treffen. Struktur meint hier ausdrücklich nicht das Organigramm. Struktur meint die operative Entscheidungsarchitektur: Wer entscheidet was – nach welchen Kriterien – und mit welchen Konsequenzen.
3) Haltung: Sicherheitsdenken statt Wirksamkeitsdenken
Haltung meint die innere Sinn- und Steuerungslogik, aus der heraus Menschen unter Unsicherheit Wahrnehmung, Verantwortung und Entscheidung organisieren. Genau deshalb ist sie in Organisationen so heikel: An der Oberfläche kann man Prozesse optimieren – an der Haltung zeigt sich, welche Reifeform von Verantwortung überhaupt tragfähig ist, wenn es ernst wird.
In Meeting-Overload-Organisationen begegnet man häufig einem sehr typischen Reifegefälle zwischen Haltungen:
Auf der eher sicherheitsorientierten Seite dominieren Haltungen, die Stabilität über Absicherung erzeugen. Das kann sich je nach Kontext als konformistisches „Wir müssen das abgestimmt haben“, als rational-funktionales „Wir brauchen noch mehr Daten/Reviews“ oder als kontrollierendes „Ich will das final sehen“ ausdrücken. Der gemeinsame Kern ist nicht Dummheit, sondern Risikoreduktion durch Verteilung: Wenn es schiefgeht, soll die Verantwortung nicht eindeutig adressierbar sein. In dieser Logik werden Meetings zur Organisationsform von Sicherheit. „Alignment“ bedeutet dann: Möglichst viele waren dabei, damit niemand allein steht. Steuerung wird sozial beruhigt statt systemisch geklärt.
Auf der wirksamkeitsorientierten Seite zeigt sich eine reifere Haltung, die Unsicherheit nicht wegorganisiert, sondern entscheidungsfähig bleibt. Das entspricht im Permantier-Sinne eher späteren Haltungen, in denen Verantwortung nicht mehr über Absicherung, sondern über Klarheit und Lernfähigkeit organisiert wird: „Wir treffen eine gute Entscheidung mit dem Wissen von heute, machen die Kriterien explizit – und prüfen schnell nach.“ Hier ist Alignment kein Haftungsverdünner, sondern ein Koordinationsinstrument: Wer entscheidet was, nach welchen Kriterien, mit welcher Feedbackschleife? Meetings dienen dann nicht der Schuldvermeidung, sondern der Wirksamkeit.
Der Unterschied ist brutal praktisch: Sobald die sicherheitsorientierte Haltung dominiert, werden Meetings zur Schuldvermeidungsmaschine. Sobald die wirksamkeitsorientierte Haltung trägt, schrumpft der Meetingbedarf, weil Entscheidung, Verantwortung und Lernen wieder im System verankert sind – nicht im Raum voller Menschen.
Was wirklich hilft: Drei Interventionen, die Meetings schrumpfen lassen
Du brauchst keine Meeting-Regeln. Du brauchst Systeminterventionen. Hier drei, die zuverlässig wirken – weil sie direkt in Fluss, Struktur und Haltung eingreifen.
Intervention A (Fluss): Ein echtes Koordinationsboard + klare Service-Klassen
Es geht nicht um „noch ein Board“, das am Ende nur hübsch dokumentiert, was ohnehin schon schiefläuft. Es geht um ein Board, das Koordination tatsächlich ersetzt – und dafür ist Flight Levels ziemlich gnadenlos pragmatisch: Auf Flight Level 2 wird nicht „alles“ visualisiert, sondern genau die Arbeit, die zwischen Teams/Streams abgestimmt werden muss, weil sie Abhängigkeiten erzeugt oder Engpässe triggert. Ein echtes FL2-Koordinationsboard zeigt deshalb nicht jede einzelne Task, sondern die relevanten Initiativen, Epics oder Value-Streams, die Koordinationsaufwand verursachen. Es macht Abhängigkeiten sichtbar – etwa über explizite Schnittstellen, klare Handovers oder Blocker-Regeln – und es zeigt WIP und Engpässe so deutlich, dass Prioritäten nicht länger diskutiert werden können, ohne dass es peinlich wird: Das Board zwingt die Organisation, sich zu entscheiden, was wirklich gleichzeitig laufen darf.
Der entscheidende Hebel ist dabei nicht „Visualisierung“ als Deko, sondern Steuerbarkeit durch Regeln: Welche Arbeit wird aktiv gehalten, welche wird gestoppt, was wird bewusst nach vorne gezogen – und was nicht? Genau hier verbindet Flight Levels Fluss mit Führung, denn das FL2-Board übersetzt die operative Realität (FL1) in koordinierbare Entscheidungen und koppelt sie an strategische Ziele (FL3). Sobald dieses System steht, schrumpfen Status-Meetings fast automatisch – weil das Board die Lage bereits sichtbar macht und Koordination dort passiert, wo sie hingehört: im System, nicht im Kalender.
Intervention B (Struktur): Entscheidungstypen definieren + Delegationsräume festlegen
Viele Meetings existieren, weil Entscheidungen als Einheitsbrei behandelt werden – als wären alle Entscheidungen gleich. In Wirklichkeit unterscheiden sie sich massiv: strategisch oder operativ, reversibel oder irreversibel, lokal oder systemweit, risikohhoch oder risikoniedrig. Sobald du diese Entscheidungstypen sauber definierst, kannst du Delegationsräume klären: Wer entscheidet was? Wer wird nur informiert? Wer wird konsultiert? Und wer darf im Ausnahmefall blocken? Genau hier trennt sich Theater von Steuerung. Denn Delegation ohne Kriterien ist schlicht „Viel Glück“. Delegation mit Kriterien ist Führung. Ein sehr pragmatischer Start ist, für die Top-10 wiederkehrenden Entscheidungen einmal vier Dinge festzuzurren: den Entscheider, das Entscheidungskriterium, die Feedbackschleife (wann prüfen wir die Wirkung?) und eine klare Eskalationsregel (wann geht es wirklich nach oben – und wann eben nicht?). Allein diese kleine Entscheidungsarchitektur reduziert in vielen Organisationen das Meetingvolumen spürbar, oft um 20–30 Prozent, weil plötzlich weniger „abgestimmt“ werden muss und mehr entschieden werden kann.
Intervention C (Haltung): Stressmuster sichtbar machen – Absicherung vs. Verantwortung
Intervention C zielt auf Haltung – und das klingt schnell „weich“, hat aber knallharte Auswirkungen. Im Sinne des Haltungsmodells von Martin Permantier geht es dabei um die innere Steuerungslogik, die unter Unsicherheit anspringt. Genau diese Logik wird in Meeting-Overload-Organisationen selten explizit gemacht – obwohl sie das Verhalten massiv bestimmt.
Statt also einen weiteren Haltungsworkshop zu veranstalten, machst du etwas Wirksameres: Du machst die Stress-Signaturen der Haltungen im System sichtbar. Konkret beobachtest du, welche Meetingtypen entstehen, sobald Druck steigt, welche Sätze sich dann häufen, welche Entscheidungen plötzlich „größer“ gemacht werden, als sie sind, und wer in solchen Situationen typischerweise zurückzieht, wer übernimmt und wer anfängt zu kontrollieren: Du schaust, welche Haltungen unter Stress dominieren – etwa ob sich das System eher in Absicherung/Anpassung („wir müssen das abstimmen“), in rational-funktionale Kontrolllogik („wir brauchen noch mehr Daten/Reviews“), oder in machtsichernde Steuerung („ich will das final freigeben“) bewegt. Das sind keine Charakterfehler, sondern Reaktionsmuster auf Unsicherheit, die in der jeweiligen Haltung plausibel sind.
So wird aus Bauchgefühl ein beobachtbares Muster – und du kannst es benennen, ohne Personen zu pathologisieren: „Unter Druck verdünnen wir Verantwortung. Das kostet Geschwindigkeit.“ Allein dieses klare Benennen ist bereits eine Intervention, weil es die blinde Stelle beleuchtet, die viele Organisationen nicht sehen wollen: Meetings sind unter Stress oft weniger Koordination als Angstregulation – und genau daran erkennst du, welche Haltung gerade führt und welche Haltung (im Sinne von Wirksamkeit und Verantwortung) noch nicht stabil genug im System verankert ist.
Das 14-Tage-Experiment: Kill 30 % der Meetings – ohne Chaos
Du willst es nicht „top-down durchdrücken“, sondern als Experiment fahren. Gute Idee. Damit entziehst du dem Theater den moralischen Trigger („ihr macht zu viele Meetings“) und ersetzt ihn durch Wirkung.
Regel 1: Meetings sterben zuerst, wenn sie keine Entscheidungen produzieren
Streich/pausiere Meetings, die…
nur Status produzieren,
keine gemeinsame Datengrundlage haben (Board, Zahlen, klare Fragen),
regelmäßig „vertagen“,
mehr als 8 Leute haben und trotzdem operativ sind.
Behalte Meetings, die…
Entscheidungen treffen,
Engpässe/Blocker auflösen,
Abhängigkeiten koordinieren,
Lernen ermöglichen (Retro – nicht Jammerkreis).
Regel 2: Du ersetzt Meetings durch Steuerung, nicht durch neue Meetings
Minimal-Set an Steuerungsritualen:
Board-basierte Koordination (15–20 Min, strikt auf Blocker/WIP/Abhängigkeiten)
Entscheidungs-Slot (2×/Woche 30 Min: Entscheidungen, keine Updates)
Wöchentliche Prioritätsklärung (Was stoppen wir? Was starten wir? Stoppen ist Pflicht.)
Wenn du „Stoppen“ nicht hinkriegst, wirst du Meetings nie klein kriegen. Weil dann alles „oben drauf“ kommt.
Regel 3: Erfolgskriterien (sonst wird’s Theater über Theater)
Miss nach 14 Tagen:
Meetingstunden pro Woche (Team & Führung)
Durchlaufzeit für Entscheidungen (von „brauchen“ bis „getroffen“)
Anzahl offener Blocker > 7 Tage
WIP (laufende Initiativen/Streams, nicht Tasks)
Wenn Meetingstunden sinken, aber Entscheidungen länger dauern: Du hast nicht reduziert, du hast nur verdrängt. Dann musst du an Struktur.
Der Diagnose-Kasten: 10 Fragen, die dir in 15 Minuten sagen, ob du im Theater bist
Wo ist ein Ort, an dem alle relevanten Abhängigkeiten sichtbar sind?
Wie viele Initiativen laufen parallel, ohne dass jemand WIP bewusst begrenzt?
Welche 3 Entscheidungen werden am häufigsten „in den Kreis gegeben“ – und warum?
Welche Meetings haben Entscheidungslog statt Protokoll?
Wo ist festgelegt, wer bei welchem Entscheidungstyp entscheidet?
Welche Kriterien machen eine Entscheidung „reversibel“ oder „irreversibel“?
Welche Blocker sind älter als 7 Tage – und wer ist verantwortlich, sie zu lösen?
Welche Meetings existieren nur, weil „man sonst nicht mitkriegt, was läuft“?
Welche Sätze hört man unter Stress am häufigsten („nur kurz“, „müssen wir abstimmen“, „sicher ist sicher“)?
Was wird in Meetings reguliert: Arbeit – oder Unsicherheit?
Wenn du bei 1–3 ins Schwimmen kommst: Glückwunsch. Du hast gerade kein Kommunikationsproblem gefunden, sondern das eigentliche.
Nicht weniger Kommunikation – sondern bessere Steuerung
Organisationen brauchen Kommunikation. Aber Kommunikation ist nicht automatisch wertschöpfend. Wenn Kommunikation Steuerung kompensiert, wird sie teuer. Und irgendwann wird sie zynisch.
Haltungsbasierte Organisationsentwicklung dreht die Frage deshalb um:
Nicht: „Wie führen wir bessere Meetings?“
Sondern: „Welche Steuerungsdefizite zwingt uns das System gerade zu kompensieren?“
Wenn du das beantwortest, sinkt Meetinglast fast nebenbei. Weil du das Problem auflöst, das Meetings notwendig macht.
PS: Wenn du die Abkürzung willst (ohne Theater)
Genau diese Logik steckt in meinem Project Health Check: In fünf Tagen wird sichtbar, wie Haltung, Struktur und Fluss im Projekt zusammenspielen – und warum bei fehlendem Fluss oft Management-Theater dominiert.



