20 Jahre Projektleitung – und meine schonungslose Bilanz (Spoiler: Es geht selten um Projekte)
Zwei Jahrzehnten im Maschinenraum des Projektgeschäfts
Nach zwei Jahrzehnten im Maschinenraum des Projektgeschäfts kann ich eines mit absoluter Gewissheit sagen:
Man sammelt keine Erfolge. Man sammelt Anekdoten.
Anekdoten über exzellente Starts, zähe Mitteldistanzen, heroische Endspurts – und das stille Dahinsiechen mancher Initiativen, das in keinem Statusbericht jemals auftauchte.
Ich habe in diesen Jahren gelernt:
Projekte scheitern selten an Methoden. Sie scheitern an Haltungen.
An Organisationen, die Klarheit predigen, aber Unsicherheit bestrafen.
An Teams, die alles „richtig“ machen, aber das „Warum“ nie klären.
An Entscheidern, die Mut als Risiko und Nachdenken als Zeitverschwendung sehen.
Also… was bleibt?
Die Erkenntnis, dass Projektmanagement nichts anderes ist als angewandte Organisationsentwicklung – nur mit Deadline, Budget und gelegentlichen Eskalationen.
Praxisgedanke: Frag im nächsten Meeting nicht nach Status, sondern nach Energie: „Was zieht uns runter, was bringt uns voran?“
(Achtung: Die Antworten können weh tun.)
Führungskräfte scheitern nicht an Komplexität – sondern an ihrer eigenen Haltung
Wir reden uns seit Jahren ein, die Welt sei „zu komplex“.
Aber ganz ehrlich:
Komplexität ist nicht das Problem.
Die eigene Kontrollfantasie ist das Problem.
Viele Führungssysteme funktionieren nach dem Prinzip:
„Wenn ich unsicher wirke, verliere ich Autorität.“
Folge: Mikromanagement, Absicherungsmeetings, Präsentationen zur Beruhigung der eigenen Nerven.
Reife Führung sieht anders aus:
Verantwortung ohne Kontrolle.
Klarheit ohne Dogma.
Vertrauen ohne Naivität.
Oder kurz: Haltung frisst Methode zum Frühstück.
Praxisgedanke: Beantworte einmal ehrlich die Frage: „Wo verhindere ich selbst gerade Entwicklung?“
Warum ich aufgehört habe, „Agilität“ zu verkaufen
Jahrelang wurde ich gefragt:
„Können Sie uns agiler machen?“
Früher habe ich genickt. Heute zucke ich nur mit den Schultern.
Denn Agilität ist kein Produkt.
Was viele suchen, ist Geschwindigkeit.
Was sie bräuchten, ist Bewusstheit.
Ein Daily Stand-up ändert keine Machtmuster.
Scrum heilt keine Priorisierungsschäden.
Transparenz ersetzt kein Vertrauen – sie verstärkt nur die Konflikte, die vorher versteckt waren.
Also habe ich aufgehört, Agilität zu verkaufen.
Ich arbeite jetzt mit Haltung.
Wenn Haltung sich entwickelt, folgt Beweglichkeit von selbst – ganz ohne Framework-Diagramm.
Praxisgedanke: Frag Dich: „Was in unserem System verhindert echtes Lernen?“ – nicht „Wie optimieren wir unser Daily?“
Die gefährlichste Fehleinschätzung: „Wir sind schon agil“
Das Board an der Wand, die Tickets in schönster Farbe, die WIP-Limits sind gesetzt – und alle sind zufrieden.
Doch wer zwei Sekunden hinsieht, merkt:
Das System ist unverändert. Nur die Sprache ist neu.
Man spricht regelmäßig, aber nicht ehrlich.
Man misst Geschwindigkeit, aber nicht Sinn.
Man optimiert Prozesse, aber meidet Konflikte.
Das ist keine Agilität.
Das ist Theater.
Und gefährlich wird es, wenn die Organisation sich selbst einredet, sie sei „fertig transformiert“.
Praxisgedanke: Frage: „Was hat unsere Agilität wirklich verändert?“
Wer nur Effizienz sucht, zerstört langfristig seine Organisation
Effizienz klingt immer so schön vernünftig.
Bis man merkt, dass man damit jede Lernfähigkeit abgewürgt hat.
Denn Lernen ist definitionsgemäß ineffizient.
Es kostet Zeit, Nerven und gelegentlich das Ego.
Teams ohne Reflexionszeit verlieren Orientierung.
Organisationen ohne Spielraum verlieren an Bedeutung.
Effizienz ist kein Ziel. Sie ist eine Konsequenz.
Von Klarheit. Von Flow. Von Haltung.
Praxisgedanke: Plane in jedes Projekt bewusst Leerlauf ein. Nicht als Pause – als Denkraum. Ohne Reflexion keine Entwicklung.
Echte Transformation tut weh – und genau das macht sie wertvoll
Transformation wird gerne als Projekt verkauft:
Mit Meilensteinen, Gantt-Charts und einem wohlformulierten Change-Deck.
Aber wirkliche Transformation ist eine Zumutung.
Sie beginnt genau dort, wo Führung aufhört zu funktionieren.
Dort, wo Sicherheiten verschwinden und Orientierung dünn wird.
Das tut weh.
Und genau deshalb funktioniert es.
Haltung ist der Muskel, der uns durch diesen Schmerz trägt.
Praxisgedanke: Frag im nächsten Change-Meeting nicht „Wie nehmen wir Widerstand weg?“, sondern „Was will er uns zeigen?“
Wenn Du diesen Text bis hierhin gelesen hast, kann ich Dir zwei Dinge sagen:
Du bist entweder selbst tief im Thema.
Oder Du hast gerade erkannt, dass Haltung kein „Soft Skill“ ist – sondern der kritischste Erfolgsfaktor für jede Organisation.
Wie auch immer:
Willkommen im Club der Menschen, die nicht nur Methoden suchen – sondern Wahrheit
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